Herausforderungen, Zumutungen und Chancen der Mediengesellschaft.
Jubiläumsvorlesung von O. Univ. Prof. em. Dr. phil. Dr. hc. Thomas A. Bauer Ried / Innkreis 12.4. 2024
Diese Veranstaltung des heutigen Abends ist als Vorlesung angekündigt, wenn auch unter dem Vorzeichen eines Jubiläums, das den Zeitunterschied von 60 Jahren zum Anlass nimmt sich Gedanken darüber zu machen, was, wie und warum sich so Vieles im Kontext von Zeit, Gesellschaft, spürbar vor allem im Gebrauch der Medien, verändert hat – und ob die Substanz der Bildung von damals in der Konfiguration und Organisation der Bildung von heute noch erkennbar oder brauchbar ist, und wenn, warum sie umzuschreiben wären. Die damit verbundene kritische Frage ist – neben der von Brauchbarkeit und Nützlichkeit – die der Nachhaltigkeit: kommt Bildung zu der von ihr versprochenen Wesentlichkeit der wechselseitigen Stützung von Wissen und Bewusstheit?
Um dies im Rahmen unserer Fragestellung zu erkunden, wie der Wandel von Zeit und Gesellschaft im Spiegel der Medien zu deuten sei, verstehe ich Sie, verehrtes Publikum, im Rahmen dieser Vorlesung als meine Studierenden, denen gegenüber ich mich verpflichtet fühle sie zu fordern. So verstehe ich meine akademische Berufung. So war ja auch das Bemühen unserer Professorinnen und Professoren vor 60 Jahren, uns nicht nur in der Nutzung der Technik von Wissensgegenständen zu trainieren, sondern uns zu Höhenflügen des Denkens und der Beobachtung zu motivieren, in denen wir lernen konnten, alles Gegenständliche jenseits seiner Nützlichkeit auch als Kulturwert zu verstehen. In diesem Sinne ist es mir/uns ein Anliegen, der Institution Gymnasium Ried wie auch unserer Lehrerinnen und Lehrer dankbar zu gedenken. Und das tun wir heute gewissermaßen im Format einer Lehrveranstaltung. In diesem Zusammenhang danke ich für die Ehre, die mir zuteil wird, diesen Part stellvertretend für alle meine Klassenkameradinnen und Kameraden von damals übernehmen zu dürfen. Ich tue das im wortwörtlichen Sinn einer Vorlesung, deren Gedankenfolge und Formulierung ich – wegen der Dichte der Thematik – ausgesucht überdacht habe. Nehmen Sie’s ein bisschen wie eine Literaturlesung. Dann ist die Versuchung geringer, zwischendurch wegzutreten oder auszusteigen.
Um es schon vorwegnehmend zu sagen: Zu den Fragen, was der Wandel von Zeit und Gesellschaft, so wie wir ihn derzeit im Gefüge der Medien erleben, bedeutet, woher er wirklich kommt und wohin er möglicherweise führt, wie man ihn ausrichtet oder möglicherweise durch Bildung lenkt, wirft mehr Fragen auf als wir Antworten haben, schafft mehr Probleme als wir Lösungen dafür kennen.
Möglicherweise auch, weil auch die Wissenschaft in all ihren transdisziplinären Verbindungen mehr zuschaut als eingreift, und weil das Bildungssystem sich nicht genügend freispielt von eben jenen Paradigmata, die man theoretisch als Ursache oder Folgen jener Phänomene des Wandels ausmachen kann, die uns Probleme schaffen: nämlich das auf Technik und Machbarkeit, auf Kumulation und Besitz, auf Ergebnis und Erfolg, auf Wettbewerb und Vorteil von Wissen fokussierte Denkmodel, das die einen bevorzugt und die anderen ausblendet. Möglicherweise sind Bedingungen institutioneller Bildung zu eng, um den Mut aufzubringen gegen den Strom gesellschaftlicher Gefälligkeit zu schwimmen, und jenseits der Regulierungen auf einen Bildungskanon zu setzen, der die Kompetenzen von Kommunikation und Soziablität, von Bildung als Habitus des Bewusstseins setzt und so die Soziabilität der Lebenserwartungen des kognitiven, mentalen und emotionalen Aufwachsens mit dem Gewinn von Wissens verbindet.
Es ist kein Geheimnis, dass alle Gesellschaften, nicht nur, aber besonders wegen der sich ändernden Kommunikationsmuster im Umfeld des Mediengebrauchs und der darin in Stress geratenen Kriterien im Krisenmodus sind. Die gesellschaftlich eingeübte Ordnungslogik der Kommunikation als die kulturell, ästhetisch und ethisch umschriebene soziale Praxis der Konstruktion von Wirklichkeit wird strukturell umgeschichtet und kulturell umgedeutet. Die Krise ist im eigentlichen Sinne eine Krise des gesellschaftlichen Diskurses einer digital gewendeten Gesellschaft, so meinen manche Mediensoziologen (Marian Adolf 2024): die Gesellschaft leide „unter den Verwerfungen des digitalen Medienwandels“.
Das scheint die Zuspitzung eines in langen Jahren vollzogenen und sich selbst laufend überholenden Wandels zu sein, den man, weil man ihn dort technologisch ausfertigt, möglicherweise zu schnell den Medien zuschreibt, so als wären sie der Grund des Übels. Das kann man so behaupten, wenn man „den Medien“ die Funktionalität (Werkzeuglichkeit, Leistbarkeit und Brauchbarkeit) von Kommunikation zuschreibt. Wenn man aber – In Umkehrung der gedachten Verhältnisse – „der Kommunikation“ die Funktionalität „der Medien“ zuschreibt, also die Medienlogik der sozial-kommunikativen Praxis als Charakteristik der Medialität von Zeit-und Gesellschaft versteht, dann sind die mit dem Wandel einhergehenden Phänomene der Krise nicht dem – sehr wohl – kritisch zu wertenden Gebrauch der Medien zuzurechnen, sondern der in Krise geratenen Kommunikationsmuster von Zeitbewusstsein und Gesellschaftlichkeit.
Daher möchte ich in dem mir hier gegeben Rahmen eine andere These aufstellen und in drei Schritten nach und nach begründen:
- Kommunikation, Gesellschaft, Zeit und Wandel sind nicht gegenständliche und sich selbst generierende Wirklichkeiten, sondern bedeutungsgenerierende Metaphern der Beschreibung unserer Beobachtung von dafür relevant gehaltenen Zusammenhängen von Geschehnissen und Phänomenen, die wir in pointierten Begriffen vergeschichtlichen.
- Die Krisen der Mediengesellschaft sind der Hinweis, dass die auf die Erfolge von Machbarkeit und Technologie konzentrierte Weltgesellschaft mit den Neben- und Folgewirkungen des technologischen Paradigmas nicht gerechnet hat, nicht rechnen wollte oder sich erst jetzt – aufgrund der aufscheinenden Krisenphänomene – zu rechnen gezwungen sieht.
- Wirklichkeiten sind in normativem (ästhetisch und ethischem) Sinne erst dann wahrheitsfähig, wenn die dafür verfügte Kommunikationsordnung dialogisch–dialektisch ausgerichtet ist, wenn also die genuin sozialen Vereinbarungen der wechselseitigen Verständigung und der wechselseitig zugespielten Deutungen auf Wahrheit und Gültigkeit der Wirklichkeit den immer und generell möglichen Widerspruch konstruktiv miteinrechnet. Auch Wahrheit ist, wie Wirklichkeit, ein Konstrukt, wenn auch im Unterschied zu einem empirischen, ein ethisch-normatives.
Der Wandel der zueinander verwiesenen Kulturen von Zeit und Gesellschaft macht – gerade wegen ihres Unterschieds – deutlich, dass die Konstruktion von Wirklichkeit auf kultürlich-heterogene Diversität, und eben nicht auf eine als natürlich interpretierte Vernunft oder Notwendigkeit von Unität und Homogenität setzt. Wäre alles in einer – meinetwegen gott-gewollten – Ordnung der Welt gleich oder gleich zu machen, dann gäbe es keine Kommunikation, dann bräuchten wir keine Kommunikation, dann wäre eben genau sie das charismatische Störmoment einer schon bestimmten Wirklichkeit. Das ambivalente, ordnungsstiftende wie auch das ordnungsstörende Potenzial der Kommunikation entspricht dem Charakter des grundsätzlich offenen Horizonts der Konstruktion und Deutung von Wirklichkeit und wird im Prisma der Medien bzw. des Mediengebrauchs gegenständlich und offenkundig.
Diese Umständlichkeit des dialogisch-dialektischen Moments der Konstruktion von Wirklichkeit, der Verständigung auf Wahrheit oder Bestimmung von Wirklichkeit und Erfahrung, fällt einer dogmatisch gestreamten Kultur des Verstehens und Deutens schwer oder gar zum Opfer. Um Michél Foucault in diesem Zusammenhang zu bemühen, kann man sich in Erinnerung rufen, dass es „möglicherweise die Bestimmung des Menschen ist unbestimmt zu sein“. Wir wissen nicht, was es letzten Endes bedeutet oder welchen Sinn es macht, dass man ist, der man ist und wie man ist.
Erst durch die Kommunikation mit dem Gegenüber-Anderen, erst die Spieglung in einem Gegenüber-Anderen macht mich auf mich als Selbst aufmerksam und gibt mir die Chance, zugleich die Zumutung, die Zuständigkeit und die Verantwortung mich zu bestimmen, wie ich meine sein zu können, sein zu sollen oder sein zu wollen, meine Identität durch mein Leben zu vergeschichtlichen und durch meinen Habitus für meine Umwelt erkennbar zu deuten, mich ihrer zu vergewissern und sie als eigene Stimme einzubringen in die Vielstimmigkeit der oft gegenläufigen Versuche der Bestimmung von Identität oder der Wahrheit von Wirklichkeit.
Meine Intention in dieser Vorlesung, wie Sie merken, ist: nicht Wissen über mögliche Etappen des Wandels zu kumulieren, sondern in den Konzepten und Deutungen, die wir schon haben, die Substanz dessen, was wir wissen, bewusst zu benennen und ihm Deutungen von möglicher Erkrankung oder Gesundung zuzuordnen; solche, die wir – möglicherweise im Interesse von Praxis und Praktikabilität – nicht hinreichend wahrnehmen. Es geht um die bewusste, oder auch: bildungsbewusste Bestimmung von gesellschaftlicher und zeittypischer Wandelkbarkeit der in der kulturellen Sphäre der Medien gespiegelten Wirklichkeit.
Aber ohne Bewusstsein gibt es weder Wahrheit noch Wirklichkeit, oder: wirklich ist, was uns bewusst ist oder, was wir uns bewusst machen. Noch richtiger: wie wir uns etwas bewusst machen. Denn, wenn sich Wirklichkeiten ändern, die Wirklichkeiten von Medien, Gesellschaft und Zeit, dann ändern sie sich in dem kulturellen Modus unserer Beobachtung, in dem wir meinen, die Zusammenhänge von Medien, Zeit und Gesellschaft verstehen zu können. Wir beobachten aber nicht die Wirklichkeit als uns gegenüberliegende Zustände oder Geschehnisse, nicht als Gegenstand, sondern wir beobachten, wie wir die Wirklichkeit beobachten und machen sie in Begriffen und Beschreibungen gegenständlich.
Das gilt auch hier für das Verständnis des Wandels von Zeit und Gesellschaft im Spiegel der Medien: Wandel ist die Metapher, mit der wir beschreiben, wie und mit welchen mentalen, kognitiven, emotionalen und spirituellen Implikationen wir das sozial-gesellschaftliche und das in Zeitmustern und medientypischen Moden vergeschichtlichte Ambiente wahrnehmen. Wir beobachten, wie wir den Wandel beobachten: mit welchen Erwartungen, Hoffnungen, Befürchtungen, Ängsten, Zugeständnissen oder Zuschreibungen.
Der Gegenstand wissenschaftlicher Bobachtung ist die Beobachtung des Gegenstandes. Das ist zugegebenermaßen ein sehr abstrakter und gedanklich fordernder, konstruktivistischer Ansatz. Aber er gibt uns die Möglichkeit, die Wirklichkeit des Wandels als eine von uns gedachte und daher auch anders denkbare Wirklichkeit zu verstehen und auf eben dieser Basis des Wissens um die Konstruktivität von Wirklichkeit die Forcierung oder die Reparaturen, wo wir denken, dass sie notwendig wären, als die Möglichkeiten und Chancen unseres Umdenkens auszumachen.
Dass sich im Laufe der 60 Jahre der gesellschaftliche Alltagsbetrieb zunächst technologisch, dem folgend Zeitmanagement, Medien, Politik, Wirtschaft und Bildung breitflächig kulturell verändert haben, haben wir alle mitbekommen. In den sozialen Sphären von Zeitkultur, Politikkultur und Medienkultur fällt uns dies besonders auf – und ebenda häufen sich insbesondere in der Gebrauchswelt der neuen, digitalen Medien virtuelle Muster der Kommunikation und der Konstruktion von Wirklichkeit, deren Effekte wir wegen ihrer offensichtlichen Wirklichkeits- oder Wahrheitsverfälschung zunehmend problematisch, verstörend und deshalb bedenklich finden. Ja, bedenklich: des Denkens, des Nachdenkens, möglicherweise des Umdenkens wert und notwendig.
Deshalb braucht es, um die Praxis zu verstehen, die theoretische Annäherung und Einordnung. Und eben diese könnte den Wandel nicht nur erklären, sondern möglicherweise ihrerseits einen Wandel einfordern: den der kritischen Interpretation, oder noch mehr: den Wechsel der Paradigmata, in denen wir die Welt denken und beobachten: von der technisch gedachten Medienlogik zu einer humanistisch gedachten Logik des Mediengebrauchs – weil es ja nicht die Medien sind, die mit dem Menschen machen, was, wie oft vermutet, in ihrer Wirkungsmacht läge, sondern es die Menschen sind, die mit den Medien machen, was, wie zu vermuten ist, sie meinen zu brauchen oder notwendig zu haben. Das verlangt, wie jetzt schon oft genug betont, ein theoretisches Umdenken von einem struktur-, funktions- und technik-theoretischen Medienbegriff zu einer kulturtheoretischen Mediologie und ein Umdenken eines auf deren Funktion konzentrierten Begriffs von Kommunikation zu einem anthropologisch- kompetenztheoretisch gedachten Konzept der typischen Medialität von Kommunikation: es kennzeichnet das dem Menschen zugerechnete Kompetenzprofil, sich im Wissen und im Bewusstsein seiner Fertigkeiten, seiner Fähigkeit und seiner je persönlichen Zuständigkeit sich selbst seiner sozialen Welt gegenüber einzubringen und zu verantworten.
Weil ich überzeugt bin, dass eben in diesem Gedankenmodell der bildungsbewusste und bildungsrelevante Knopf zu finden ist, den wir drücken müssen, damit sich ändert, was und wie wir denken, dass es sich ändern sollte, und dass der Wandel die Richtung nimmt, die wir denken, dass er einnehmen sollte, will ich in der heutigen Vorlesung, die dem Jubiläum einer Bildungsetappe gilt, daher weniger die Strukturgeschichte der Medien bemühen und die komplexe Thematik des Wandels von Medien, Zeit und Gesellschaft nicht in Geschichten erzählen – was reizvoll wäre, weil sich da viele deja-vu Momente ergäben – sondern viel lieber will ich die äußeren strukturellen Konturen des Medienwandels größeren und breiteren Hintergrund-Strömungen von Zeit und Gesellschaft analytisch zuordnen – solchen des Wertewandels und solchen des oft geforderten Paradigmenwechsels, die ihrerseits dann die transversalen Zusammenhänge von Zeit, Gesellschaft medienkulturell deuten. So will ich versuchen die sich über die Jahrzehnte wandelnde Praxis medienbasierter sozialer Kommunikation als Ausdruck der kulturellen Logik des Wandels von Zeit und Gesellschaft zu interpretieren.
In der analytischen Aufarbeitung des Wandels von Zeit und Gesellschaft kann man den Fokus der Beobachtung gut und gerne auf Medien richten: denn Medien sind, richtiger der Mediengebrauch ist das strukturelle, kulturelle und symbolische Ambiente, in deren Wandel über die Zeit sich der gesellschaftliche Wandel abzeichnet. Verbunden damit ist der Wertewandel bzw. der der Paradigmata, die vermutlich auch die Inhalte der sozialen Kontrolle bestimmen. Wenn und weil und solange wir in irgendeiner Form eines gesellschaftlichen Vertrages (J. J. Rousseau) der zu prüfen wäre, Medien für Institutionen gesellschaftlicher Kommunikation halten, also als Einrichtungen der Homogenisierung von Öffentlichkeit und öffentlicher Meinung, und in diesem Sinne sie als Agenturen politisch wie alltags-kulturell relevanter Bestimmung oder Deutung von Wirklichkeit halten, so lange macht uns deren Wandel – vor allem in der Radikalität gegenwärtiger gesellschaftlicher Zeitkultur – Kopfzerbrechen.
Weil wir denken oder dachten: Einrichtungen dieser Art sind durch Qualität und Kompetenz , durch Professionalität und Organisation, durch die Verfügung über bevorzugte Technologie und durch den elitären Status des Öffentlichkeitscharakters bevorzugte Referenzen des gesellschaftlichen Vertrauens.
Wir wissen, weil wir es alle erleben, dass sich dieses Medienmodell überlebt hat. Abgesehen davon, dass sie selbst dazu beigetragen haben zunehmend in Misskredit zu geraten – nicht nur, aber vor allem im Bereich audiovisueller Medien, ist das derzeit vorherrschende Medienmodell das der Individualisierung. Jeder ist oder macht gewissermaßen sein eigenes Medium , jeder kann jederzeit zu jedem Thema jede mögliche oder unmögliche Botschaft, jede mögliche oder unmögliche Meinung an jedweden richten oder mit jedwedem teilen.
Dieser Bogen vom institutionellem und konzentrischem Medienmodell zu einem individualisierten, intuitiven und beliebig dezentralisierten Medienmodell ist nicht nur technologisch ermöglicht und befördert worden, sondern repräsentiert, spiegelt und prägt zugleich den Prozess des sozial-kulturellen Wandels von einem hierarchisch und vertikal strukturierten Modell von Gesellschaft zu einem heterarchisch und horizontal gedeuteten Modell der wechselseitigen Verwiesenheit und Beobachtung, von einem Familienmodell zu einem next-to-next-Modell im Charakter intuitiver und beliebig generierter Milieus:
Rollen werden getauscht und nicht mehr durch Autorität, sondern – wenn sie denn überhaupt beansprucht werden – durch Authentizität begründet und verantwortet. Im Milieu der social media (hier vor allem Facebook, instagram, Tiktok, X) gewinnen ich-betonte und ich-bewusste Werte an Aufmerksamkeit, das Individuum und dessen Gefälligkeit wird zum zentralen Thema scheinbar beliebig sich bildender, aber doch durch Algorithmen gesteuerter so genannter Freundeskreise oder Netzwerke, die zu in sich selbst verstrickten Echo-Kammern werden, weil sie nichts anderes sind als durch Globalisierung und Algorithmisierung im Interesse von Kapitalakkumulation typisierte und gleichgeschaltete Verbrauchermilieus: virtuelle Gemeinschaftswelten im Interesse des Medienkapitalismus.
Das alles braucht, wie schon gesagt, mehr als eine technologische oder entwicklungslogische Einordnung, sondern eine die Komplexität der sozialen Charakteristik der Existenz des Menschen mehrfach logisch begründete Einordnung im Sinne einer kulturtheoretisch gedachten Logik der Medialität der sozialen Existenz des Menschen. Diese reflektiert nicht nur die technische Logik des Mediengebrauchs, sondern auch den Medialitätscharakter der sozial-kommunikativen Logik der Gesellschaft.
Sie ist eben jene für die heutige Mediengesellschaft relevante Charakteristik von Wirklichkeit, Zeit und Gesellschaft: der Gebrauch der Medien als die sozial-symbolische Konfiguration, in der der Mensch den Zeitcharakter seiner Existenz, die Gesellschaft ihren Zeitcharakter und die Zeit ihren Gesellschaftscharakter erkennt. In den sich verändernden Formaten der Medien und des Mediengebrauchs spiegeln sich die sich verändernden Formate der Wirklichkeitsbeschreibung von Gesellschaft und Zeit und vice versa.
Alle Wandlungsprozesse beginnen seicht, zunächst da und dort versuchsweise, beispielhaft, vielleicht um die eine oder andere Not zu wenden, in Mechanismen und Techniken der Entlastung von Anstrengung, von Unsicherheit oder Unbestimmtheit. Sie gewinnen an Fahrt und Stärke, weil sie sich in den Umgebungen von Zeit, Gesellschaft und Medien wechselseitig, also transversal deuten, begründen, stützen und sie sich so zunehmend strukturell und kulturell ausdifferenzieren.Das heißt: technologische Innovationen etablieren sich nach und nach – dem Prinzip des Wettbewerbs folgend und wegen der strukturellen Verflechtung der Systeme – in allen Systemen, in denen sie schon ein Faktor ist. Medien, Politik, öffentliche Verwaltung, Wirtschaft, Bildung, Wissenschaft und andere Systeme verflechten sich so zunehmend und machen sich wechselseitig wandlungsabhängig. Und das gilt, wie wir wahrnehmen, für alle Systemen. Je mehr die Systeme in ihren technischen Strukturen verwandt und zueinander vermittelt sind, umso mehr legen sie Wert darauf, sich kulturell voneinander zu unterscheiden.
Sie tun dies im Interesse der Unterscheidung von Image, Identität und gesellschaftlicher Mission nach außen gegenüber anderen Systemen. So ist eine Schule keine Kirche oder eine politische Partei – in der Regel – kein Faschingsverein. Weil aber Medien nicht nur eine technisch nutzbare Logik haben, sondern auch eine kulturelle Ambition verfolgen, bewirken sie bisweilen eine kulturelle Verähnlichung, die die Systeme mit Images besetzt, die sie möglicherweise zuvor nie zuvor für sich beanspruchen wollten: so werden auf facebook oder instagram kirchliche Liturgien zu Opern, Schulen zu Camps, Nachrichten zu Werbung, politische Veranstaltungen zu wrestling shows oder vielleicht doch zur Faschingsveranstaltung. Warum?
Weil die Präsenz über Medien für alle, auch noch so unterschiedlichen Systeme oder Vergemeinschaftungen den Druck auf Aufmerksamkeit, Öffentlichkeit und performance der Nützlichkeit erhöht. Im Kontext der medialen Präsentation und dem Versuch, überall, wo es eben geht, präsent zu sein, verändert sich aber nicht nur das äußere Image, sondern auch die jeweils innere Ordnung. Das jeweils individuelle Selbstverständnis von Menschen, Organisationen oder Systemen wird zum Format einer universell gefälligen Selbstverständlichkeit.
Dahinter liegt möglicherweise das Bedürfnis nach sozialer Gefälligkeit: In den Sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts gab es noch relativ klare, stabile, gesellschaftlich geteilte und institutionell identifizierte und garantierte Ordnungsmuster, die ein Ja von einem Nein, oder ein Erlaubt von einem Unerlaubt klar unterschieden: Die soziale Kontrolle funktionierte im Muster der Institutionen von Familie, Religion, Institution, mediensystemischer Öffentlichkeit oder Pädagogik. Je deutlicher wurde, dass diese Institutionen nicht natürliche, sondern kultürliche, aus der Logik der Nützlichkeit, der Ästhetik und der Ethik gewachsene Konstrukte sind, desto klarer wurde auch, dass sie nicht naturnotwendig, sondern kultur-offen, und daher veränderbar sind.
Der Horizont der Deutung der in diesen Institutionen verwalteten Werte weitete sich und mobilisierte zu komplexen Mustern der Emanzipation und stellte damit die Selbstverständlichkeiten angepasster Sozialisation in Frage. So wandelte sich das gesellschaftliche Muster der Ja/Nein-Ordnung wie im Lauffeuer zu einem Muster der Vielleicht-Ordnung. Diese Medaille hat, wie jede, 2 Seiten: die der Problembeseitigung und die der Problemgenerierung, die der Befreiung von Zumutungen und den Zumutungen der Freiheit. Zunehmend wird uns bewusst, dass der Wert der Freiheit soweit reicht wie deren Verantwortung, dass die Metapher des Freiheitsraums nur stimmt, wenn deren Grenzen bestimmt sind.
Alle, auch noch so banale Prozesse des gesellschaftlichen Wandels, wenn auch noch so vordergründig gespiegelt in den Moden von Zeit und Medien, sind, um Heidegger zu bemühen, Verweise und Hinweise auf die existentielle Verwiesenheit des Menschen auf dessen Unbestimmtheit, sind Zeichen der Versuche des Menschen sich im Rahmen dieser Vielleicht-Möglichkeiten und in der Vermutung um seine mögliche Unbestimmtheit dennoch zu bestimmen. Genau dafür und deshalb braucht er Kommunikation, noch richtiger: braucht er die Kompetenz von Kommunikation: Fähigkeit, Fertigkeit, Zuständigkeit und Verantwortung.
Nun aber in einer groben Kennzeichnung zu den angesprochenen Strömungen:
Globalisierung: die zunehmende, wirtschaftlich begründete Auflösungen von kleingemeinschaftlichen und kleinstaatlich, nationalen Eigenbemühungen in Politik, Bildung, Wissenschaft und Gesellschaftsmanagement , die transnationale und transsystemische Verallgemeinerung der Regulierung von wirtschaftsrelevanten Prozessen, eine Walze, die nationalstaatlich definierte Eigenheiten, Interessen und Bestimmungen zunehmend obsolet macht. Der Wettbewerbsdruck, ein Paradogma einer vor allem wirtschaftlich gedachter und begründeter politischen Praxis, macht den Prozess der Globalisierung zu einem gesellschaftspolitischen Pflichtprogramm in den verschiedensten Sektoren des gesellschaftlichen Alltags, nicht zuletzt in dafür zu Rate gezogenen Hintergrundprogrammen von Bildung, Wissenschaft und öffentlicher Meinungsbildung.
Demokratisierung: Nach langem und mühsamem Aufarbeiten nationalsozialistisch gefärbter Paradigmata und Paradogmata von Zeit- und Gesellschaftskultur und trotz historischer oder auch gegenwärtiger Rückfälle in diktatorische und autokratische Formate von politischer und gesellschaftlicher Herrschaft – gewinnen demokratisch und humanitär versierte Denkmodelle von Menschenwürde, Individualität, Freiheit, Gleichberechtigung, verteilter Verantwortung und Chancengleichheit an Boden und färben so – vor allem, wenn auch oft etwas billig und oberflächlich gespiegelt und geprägt in der semantischen Welt der Medien – das alltagspolitische Verständnis von Zeitgemeinschaft , Sozialcharakter von Wirtschaft, von Politik, von Wissenschaft und Bildung unter den Bedingungen gegebener und bewusst reflektierter Unterschiedlichkeit von Meinung und Auffassung in einem öffentlich kommuniziertem und verhandeltem Ambiente.
Diversifizierung: verbunden mit zunehmender Demokratisierung , individueller Emanzipation und sozialer Horizontalisierung von Freiheit und der Selbstbestimmung von Verantwortung entdecken Menschen, Milieus, Gruppierungen zunehmend den Autoritätscharakter ihrer Individualität und Selbstbestimmung. Autorität begründet sich immer weniger mit Macht der Verfügung oder institutionell verfügter Funktionsmächtigkeit, sondern mit Authentizität, sozialem Vertrauen und kommunikativer Kompetenz – den Werten der äußeren Identifizierbarkeit von selbst-gemeinter Identität.
Das Denken von Problemen und deren Lösungen in Modellen von technischen Mechanismen. Wenn etwas funktioniert, dann funktioniert es, weil und wenn es technisch keine Probleme macht. Wenn wo Probleme auftauchen, dann werden sie als Probleme und Herausforderungen der Machbarkeit, der Werkzeuglichkeit und Funktionalität verstanden und eben mit Methoden der Machbarkeit oder weiter zu verfeinernder Mechanizität gelöst.
Digitalisierung: Um diese Strömung, die ja eine Spezifikation von Technologie und doch eine ungeahnte Erweiterung von Automation darstellt, vornehmlich im Medienbereich zu skizzieren und deutlich zu machen, muss man sich vergegenwärtigen, dass die Digitalisierung mit und wegen ihres Potenzial des Wandels bestehende strukturelle Medienordnungen und deren systemische und institutionelle Absicherungen total über den Haufen wirft. Aber nicht die Ordnungen der Technologie, sondern die damit verbundene Ordnungslogik von Wirklichkeit und Wahrheit, von Hierarchie und Autonomie, von der Verteilung von Rollen, von Funktionen und den Zuordnungen von Macht und Verantwortung in den Mediensystemen und Mediengebrauchsformaten:
In der Folge dieser Beschreibung der Hintergrundströmungen des strukturellen Wandels macht es Sinn, dem Wandel von Medien, Zeit und Gesellschaft theoretisch mit dem zu begegnen, was er praktisch ist: die Umordnung des Denkens.
Die theoretisch-methodische Übung wäre es nun, dem Wandel im praktischen Gebrauch von Medien, Gesellschaft und Zeit theoretische Konzepte gegenüber zu stellen, die den möglichen Wandel des Denkens und Deutens von Medien, Gesellschaft und Zeit theoretisch anders begründen als im Modell von struktureller Ordnung und technischer Funktionalität . Konkret hieße dies: die technisch-mechanistische Logik von Medien und die Struktur- und Funktionslogik von Zeit und Gesellschaft zu wandeln in eine Kultur-logische Interpretation, die an dem Wie der Beobachtung interessiert ist und nicht fragt, was ist Gesellschaft, was ist Zeit und was sind Medien, sondern: Wie denken und wie beobachten wir Medien, Zeit und Gesellschaft, um zu wissen, was die Substanz unseres Denkens darüber ist.
Denn, um es nochmals zu sagen: Zeit, Gesellschaft, Kommunikation, Medien etc. sind nicht Objekte für sich selbst, sondern sind Beschreibungsmetaphern unserer Vorstellungen und Beobachtungen von Zusammenhängen, wie wir sie denken oder denken möchten. Im Denken und im Austausch unserer Gedanken konstruieren wir die Wirklichkeit, die wir und wie wir sie meinen.
Diese theoretische Anstrengung erfüllt überdies die prophetische Funktion von Wissenschaft: nicht besser-wissen, nicht vorhersagen, nicht hellsehen, sondern im Sinne von pro-phanai: also nicht vorhersagen, sondern: hervorsagen: dem Meinen und dem möglich Gemeinten jenseits der Praxis von Medien, Gesellschaft und Zeit eine theoretische Stimme / Bestimmung geben, um so ungenützte, vergessene oder missachtete Perspektiven der Wahrnehmung und Beobachtung zu erschließen, die letztlich auch neue Horizonte der Hoffnung eröffnen.
Und das meint: auf Ebene der theoretischen Reflexion Perspektiven und Horizonte in Betracht zu ziehen, die dem Alltagsblick verloren gehen oder entzogen sind, dem Blick der Praxis, der Strategie, der Politik, des Wettbewerbs, der kausalen Technik, der praktischen Ermächtigung. In diesem Sinne ist die prophetische Funktion von Wissenschaft die der Verantwortung für Nachhaltigkeit von Denken, Wissen, Reflektion, Argumentation und Substanzialität.
Die Probleme, die Krisen, die Anforderungen, die mit dem Wandel von Zeit und Gesellschaft verbunden sind, begegnen uns nicht nur, aber vor allem über Medien. Nicht, dass diese mediengemacht wären, aber sie gewinnen Relevanz und Format (Aufmerksamkeit, Wahrnehmung, Bestimmung, Alltagskultur) im Kontext des (sozialen oder individuellen) Mediengebrauchs. Es sind die mit dem Mediengebrauch (ob Produktion oder Rezeption) verbundenen Vorstellungen, Einstellungen, Erwartungen und Einübungen, die den kommunikativ strukturierten Alltag der Menschen zunehmend ritualisieren – politisch, sozial, individuell.
Es braucht, wie hoffentlich deutlich wird, eine kulturtheoretische Interpretation (Paradigmenwechsel) der wegen ihres Medialitätscharakters zueinander verwiesenen Beschreibungsmetaphern von Kommunikation, Gesellschaft und Zeit: sie sind in Sprache gefasste symbolischen Umgebungen der Konstruktion von Wirklichkeit.
Die Modelle und Ordnungsmuster, in denen wir die Verbindung der Menschen zueinander und ihre wechselseitigen Wahrnehmung denken (Aufmerksamkeit, Achtung, Verpflichtung, Distanz und/oder Nähe) oszillieren zwischen medial konstruierten Modellen von Ähnlichkeit und Verschiedenheit im Interesse der Bestimmung von Wirklichkeit. Wirklich ist nicht zuerst, was wir wahrnehmen, sondern wie wir wahrnehmen, um Es als Etwas zu bestimmen. Die Welt ist, wie wir sie denken. Und wie wir das Gedachte kommunikativ / medial verdichten. Dieses Wie-wir-verdichten macht die Komplexität der Weltwahrnehmung aus.
Daher stellt sich die theoretische Frage, ob, wie und warum wir „den Medien“ – ob institutionell oder individuell im Gebrauch – zumuten oder zutrauen sollten, das existentiell divergente Bedürfnis des Menschen einerseits nach Sozietät und Sozialität, andererseits nach Identität und Subjektivität ausgleichend einzulösen.
Genau das aber befördern wir in allen sich wandelnden Formen des Mediengeschehens (Mediengeschichte / Sozialgeschichte des Mediengebrauchs) sogar soweit, dass wir zunehmend die zu zivilisatorischer Tradition gewordenen Modelle der Vergesellschaftung (z.B. Milieugesellschaft, Familiengesellschaft, Nationalgesellschaft, Generationengesellschaft) mit medienbeliebigen Formaten von Zivilisation konfrontieren.
In einer so dann verstandenen Medien-Gesellschaft, so bemerken wir zunehmend, stehen Vertrauensmechanismen, soziale Formate der wechselseitigen Achtsamkeit, der Erkundung von Wahrheit, Wirklichkeit und Relevanz sowie sozial-kulturelle Formate von Verbindlichkeit, Respekt, Achtung oder wechselseitige Achtsamkeit auf dem Spiel: social-media-typische Phänomene von Hass, fake news, Beliebigkeit oder Aggressivität machen das tagtäglich und quer über die Welt augenscheinlich.
Der zuvor angesprochene Wandel der theoretischen Modelle, mit denen man dem praktischen Wandel zumindest theoretisch hinreichend begegnen kann, betrifft die Begriffslogik von Kommunikation. Die bisher alltäglich und auch wissenschaftlich gebrauchte Version des Zusammenhangs von Medien und Kommunikation folgt einem mechanistisch- kausalen Paradigma: Medien werden begriffen als Werkzeug der Kommunikation. Versteht man die Tastatur der Technik, dann kann man das Klavier der Kommunikation spielen in welcher Melodik auch immer.
In diesem Begriffsmodell verstehen wir Kommunikation aktions-logisch und überdies im Interesse von Einfluss, Macht und Wirkung.
Aber, wie schon erwähnt: Kommunikation ist, wie alle ihr verwandten Begriffe, eine Beschreibungsmetapher, eine Bildbeschreibung der Zusammenhänge von Bedingungen, von denen wir vermuten, dass sie eine Rolle in einem sozialen Geschehen spielen oder spielen müssen, damit wir den Geschehenszusammenhang als Kommunikation beschreiben können wie wir ihn beschreiben möchten. Weil die Geschehensbedingungen und Geschehens-zusammenhänge so komplex sind, brauchen wir ein Modell der Beschreibung.
Das Aktions- oder das Technik-Modell bietet sich als kausallogisches Modell an. Es erklärt das Modell mechanisch. So werden auch dessen mediale Veränderungen mechanistisch gedacht. Der groben Fehler wegen, der groben Verfälschungen und der Gefahren, die wir daraus ableiten für die gegebenen Ordnungskulturen der Zeit und der Gesellschaft werden auch die Reparaturen, z.B. im Rahmen von Medienbildung zunächst mechanistisch gedacht: Heranwachsende oder auch Erwachsene sollen lernen, wie man die Ordnungsmodelle von Zeit und Gesellschaft im Kontext des Mediengebrauchs (durch vernünftigen Mediengebrauch) individuell sicherstellt.
Hier schon werden mindestens vier alteingesessene Dogmen der Bildungspraxis theoretisch desavouiert:
- Das auf das individuelle Lernen (seit Rousseau: Lernmodus, Lernergebnis, Lernverantwortung) ausgerichtete Format des Unterrichts entspricht einem Modell von Sozialisation, in dem das Individuum durch Anpassung an Ordnungsmodelle der Gesellschaft die individuelle Bereitschaft zu Wissensaneignung und Wissensgebrauch unter Beweis stellt. Das fördert den (auch wirtschaftlich angepassten) Mechanismus des Wettbewerbs, aber nicht den Habitus der gesellschaftlich-sozialen Kooperation.
Individuelles Wissen, erworben und erarbeitet im Interesse individueller Perspektiven, ist nicht unbedingt an sozialen Nachhaltigkeitswerten orientiert, sondern an eigen-kapitalorientiertem Verbrauch. Ein strategisch-didaktisches Umdenken von der Wissensvermittlung zur Wissensverständigung – wo Material für sachtypisches Wissen ohnedies zunehmend über individuelle Mediennutzung bezogen werden kann und, wäre hier der theoretische Ansatz zur Veränderung der Lehrer-Rolle auf die eines Moderators und die Veränderung der Schülerrolle als die einer Partnerschaft der Verständigung über die möglichen sozial-gesellschaftlichen Deutungen des Wissensgewinns.
- Medien, die man als Werkzeug von und für Kommunikation hält, werden als Ursache der Wirkung, auch der problematischen Wirkungen des Mediengebrauchs gewertet. Die theoretisch zu stellende Frage ist aber nicht, was Medien mit den Menschen machen, sondern was Menschen mit den Medien machen. Daraus folgt, dass jedes Bildungsgeschehen in bewusst didaktischem Kontext des Mediengebrauchs erfolgen sollte, um so das erworbene Wissen sozial-gesellschaftlich zu verknüpfen.
Das heißt, um in diesem Kontext Pierre Bourdieu aufzurufen, den Lerngewinn als soziales bzw. kulturelles Kapital zu verstehen, das nicht der Eine in Abgrenzung zum andern erwirbt, sondern im Wissen um die Maximierung der Chancen durch strukturell eingerichtete Mechanismen von wechselseitig erwarteter Kooperation und wechselseitig zugestandenem Vertrauen.
- Der Charakter des sozial-gesellschaftlichen Zusammenhangs folgt einem neuen Modell: Im Rahmen der Mediengesellschaft fügt sich der Gesellschaftscharakter nicht im Charakter der Familie, nicht im Charakter des Milieus, sondern im Charakter von unbestimmter Entfernung, von Zeitverschiedenheit, von Zufälligkeit und von Beliebigkeit der Begegnung und der wechselseitigen Wahrnehmung. Eine Nachbarschaft auf Basis der Gefälligkeit. Charles Taylor nennt dies die next-to-next-Gesellschaft. Wechselseitige Wahrnehmung, wechselseitige Achtung und wechselseitig zugestandene Verantwortung folgen nicht der Mentalität von Institution und Gemeinschaftsverpflichtung, sondern der Medialität der Gesellschaft:
Zufälligkeit, Beliebigkeit und Wechselhaftigkeit der Begegnung machen diese willkürlicher, flüchtiger, belastungsschwächer, anfälliger für Nebenwirkungen, weniger nachhaltig und weniger resilient und, wo die Neigung schon existiert, auch weniger der Wahrheit oder der Wirklichkeit verpflichtet. Oder alternativ betrachtet: stehen diese Werte zumindest auf der Prüfliste neuer gesellschaftlicher Umgebungen als Herausforderungen, der sich eine Mediengesellschaft stellen muss. Das kann man ja auch als challenge und chance einer open societey verstehen – auch wenn es noch lange nicht gelingt. In diesem Zusammenhang werden Rufe nach einem Paradigmenwechsel in der schulischen Bildung verständlich: vom technischen Paradigma der Wissenskumulation und Wissensqualifikation zum humanen Paradigma des sozialen Bewusstseins und Wissenskompetenz.
- Man denke hier auch an die Veränderungen des zunehmenden Gebrauchs von Bildungsmedientechnologie: Online learning, Online teaching sind nicht einfach nur anders geartete Bildungstechnologien, sondern: sie sind mediengesellschaftlich zu denkende Umwelten, in denen Interesse, Zeiterlebnis, Beteiligung und Verantwortung anders, nämlich im Muster individuellen Mediengebrauchs verteilt werden, die mit den institutionell etablierten Strukturen der Wissensvermittlung, der Wissenskontrolle und der Wissensprüfung nicht immer kompatibel sind. Das verführt -nicht nur bei Lernenden, sondern auch bei Lehrenden, je nach individueller Disposition, zu Zum-Schein -Aktivitäten: copy-paste, chatGPD und vor allem AI stellen alle Möglichkeiten dazu zur Verfügung. Ich nannte das im Rahmen meiner kommunikations-theoretischen Analysen die stille, mediale Nutzung des je nach kultureller Mentalität unterschiedlich ritualisierten „Täuschungsvertrags“.
Was mir in diesem Zusammenhang der Beschreibung des Wandels wichtig ist, ist der Charakter der Konnektivtät des Wandels, der sich nicht aus der vermuteten Natürlichkeit von Zeit, Gesellschaft und Medien ergibt, sondern aus deren Kultürlichkeit:
Weil Zeit eines jener kulturellen Bewusstseinskonstrukte ist – nämlich jenes, in dem wir den Gebrauch von Medien und die Eingebundenheit in gesellschaftliches Geschehen beobachten und messen, können wir in dieser Sprache (der Mathematik) Werte und Unwerte des Mediengebrauchs interpretieren: zu viel Zeit meint im Hinblick auf die mediale Konstruktion von Wirklichkeit: zu viel Fremdbestimmung des eigenen Lebensbewusstseins.
Weil Gesellschaft eines jener Konstrukte ist – nämlich jenes, in dem wir den Gebrauch von Zeit und Medien einrechnen, können wir den Aufwand, die Bedürftigkeit, die Notwendigkeit, aber auch die Möglichkeiten von Zeit- und Medienzuwendung bewerten.
Weil Medien, richtiger der Mediengebrauch,- also, weil die sozial-medial Praxis im Sinne ihrer Kommunikationsleistungen eine jener kulturellen und zivilisatorischen Konstrukte ist, in deren Charakteristik wir Zeit-Kultur und Gesellschaftskultur gespiegelt – auch geprägt – erfahren und wiedererkennen – nämlich jene, die, die den Wandel der Charakteristiken von Zeit und Gesellschaft offensichtlich macht – fühlen wir uns zurecht mehr denn je gefordert, aber auch befähigt, den Wandel von Zeit und Gesellschaft im Wissen um die technologischen Möglichkeiten und Grenzen bewusst, vernünftig und nachhaltig zu gestalten.
Das heißt: unter den Bedingungen der zunehmend medialen Ausformung der Kultur von Zeit und Gesellschaft die humanen und sozialen Werte von Zeitverwendung und Mediengebrauch gerecht und chancengleich, achtsam, kompetent und resilient füreinander zu verteilen – gerade wegen der Unterschiedlichkeit der Lebenswelten und Lebensbedingungen.
Unterschiedlichkeit ist ein Kommunikationswert: ihretwegen nützen wir sie und ihretwegen brauchen wir sie. Wäre alles gleich und würden wir alles gleich sehen, gleich wahrnehmen und gleich deuten, würden oder bräuchten wir nicht kommunizieren. Das kann man auch anders sagen: je unterschiedlicher wir unsere Erfahrungen und die Welt wahrnehmen und sie deuten, je unterschiedlicher wir sind, desto mehr brauchen wir einander um Modus der Kommunikation und desto mehr macht sie Sinn. Das heißt dann: je mehr und je kompetenter – fähiger, fertiger und verantwortungsbewusster – wir kommunizieren, desto mehr Sinn, desto mehr Wert erkennen wir in der Unterschiedlichkeit der Wahrnehmung und der Deutung von Welt und Welterfahrung. Man stelle sich vor, die Welt wäre ein-deutig:
so als gäbe es nur ein Modell ihrer Erklärung, in nur einer in sich gleichen Sprache, in nur einer in sich gleichen religiösen oder ideologischen Deutung, eine nur in sich gleiche Kultur, eine nur in sich gleiche Lebensweise, eine nur in sich gleiche Ordnung – das wäre die in sich nicht nur die langweiligste, sondern auch die autoritärste, sinn-loseste und zwangshafte Welt, eine Welt ohne Horizont der Hoffnung oder Erwartung, ohne die freie Wahl und ohne den Wandel der Möglichkeiten. Gott-sei-Dank gibt es viele Sprachen, viele Religionen, viele Ideologien, viele Kulturen und in deren Rahmen viele Optionen des Lebenswandels. Diese Perspektive fordert allerdings mehr denn je eine gesellschaftlich geteilte intrinsische Motivation zu Vertrauensmustern der Kommunikation. Je fremder wir uns wechselseitig fühlen, desto mehr mentale, spirituelle und psychische Übung brauchen wir in Mustern der sozial-verbindlichen Kommunikation.
So bleibt abschließen zu sagen:
Der Wandel stresst, aber er ist das intrinsische Modell des Lebens und der Garant auf eine Zukunft, die selbst wieder Vergangenheit werden will.
Die – vor allem medial sichtbaren – Krisenphänomene der gesellschaftlichen Kommunikation sind Hinweise, deren Problematik wir wohl sehen und hinterfragen sollten, die wir aber nicht im Lamento ersticken sollten. Das Jammern generiert nicht Kraft, sondern suggeriert nur das Gefühl des Rechts auf Enttäuschung. Krisen sind der der Moment des Wandels der Kriterien, die wir nützen, um Handlungsmuster und deren ästhetische und ethische Qualität für „in Ordnung“ zu finden. Wenn kulturelle (ästhetische ethische und praktische) Ordnungen brechen oder gebrochen werden, dann ist das nicht die genuine Bosheit von Generationen oder Milieus, sondern die partielle, aber doch gesellschaftsrelevante Zeichnung der Sinnentleerung von – oder des Widerstands gegen rituell etablierte Habitate der Vorgaben gesellschaftlicher Ordnung.
Der Sinn von sozial-gesellschaftlich relevanten, aber individuell gebrauchten Handlungsmusterm – vor allem auch die der Muster von Medien- und Zeitverwendung – findet sich in einem philosophisch durchdachtem (Alois Edmair) Bündnis von drei zueinander verwiesenen Kriterien: Nützlichkeit, Ästhetik und Ethik. Nützlich ist eine Handlung, eine Technik, ein Ritual, eine Ordnung, eine Vorschrift, wenn sie technisch und im Gebrauch ästhetisch und ethisch ist. Ästhetisch sind solche Muster, wenn sie ihrer Nützlichkeit und Ethik wegen den Erwartungen des Gefallens, der Form und der Identifikation entsprechen. Ethisch sind solche Muster, wenn sie in deren Gebrauch den Erwartungen von Nützlichkeit und den Erwartungen sozial-kultureller Habitate (Wahrheit, Richtigkeit, Redlichkeit etc.) entsprechen.
Es sind also diese Kriterien, die neu zu denken sind und die – paradigmatisch gewandelt – den Wandlungen von Gesellschaft, Medien und Zeit gegenüber zu stellen sind. Auch hier gilt es den Aufruf ernst zu nehmen: Gott sei Dank gibt es die Freiheit der Konstruktion von Wirklichkeit im Muster der Freiheit der Kommunikation, im Muster der Medienfreiheit, im Muster der Zeitfreiheit und im Muster der Freiheit von Bewusstsein und Vernunft.
Literaturverweise:
Bauer, Thomas A. (2014): Kommunikation wissenschaftlich denken. Wien: Böhlau
Chomsky, Noam (1989): Studies on semantics in generative grammar. The Hague: Mouton
Edmair, Alois (1968): Horizonte der Hoffnung. Regensburg: Pustet
Flusser, Vilém (1998): Kommunikologie. Frankfurt/M.: Fischer TB
Piaget, Jean (1973): Einführung in die genetische Erkenntnistheorie. Frankfurt/M: suhrkamp
Rousseau, Jean Jaques : Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen